Freitag, 11. September 2015

Die Flüchtlingsdebatte und die Frage nach dem Warum

Alle Medienkanäle, die sozialen Netzwerke und auch die Diskussionen in Politik und Gesellschaft sind voll vom alles beherrschenden Thema dieser Tage: Flüchtlinge. Doch so allgegenwärtig die Diskussion auch ist, erstaunt, dass ein wichtiger Aspekt überall zu kurz kommt - die Ursache.


Überall sind sie zu sehen, diese Bilder. Bilder, die betroffen machen; Bilder, die Hoffnung schüren; Bilder von Menschen, die ihre Heimat hinter sich gelassen haben und nun ihr Glück in anderen Teilen der Welt suchen. Die Debatte, wie Gesellschaft und Politik "richtig" mit Flüchtlingen umgehen sollen, ist dabei in vollem Gange. Vom verkaufsstarken und leicht reizbaren Filmemacher über die europäischen Spitzenpolitiker bis hin zum Normalverbraucher tut nahezu jeder seine Meinung kund. Die diskutierten Fragen sind dabei immer die gleichen: Wo und wovon sollen die Menschen leben? Was kann die Gesellschaft als Ganzes und jeder Einzelne konkret tun? Wie bieten wir Menschen ein lebenswertes Umfeld?

Alle diese Fragen sind richtig. Alle diese Fragen müssen gestellt werden. Und eigentlich sollten diese Fragen in einer funktionierenden Zivilgesellschaft, Flüchtlingsstrom hin oder her, doch immer ein Thema sein. Doch nun, da Tausende den Weg nach Europa suchen, sind sie umso dringlicher und bedingen schneller Lösungen - unbürokratisch, menschlich und möglichst nachhaltig. Nichtsdestotrotz offenbaren diese Fragen ein allzu oft erlebtes Dilemma: das kurzfristige Problem bekommt die Aufmerksamkeit, die eigentliche Ursache verschwindet unter dem Teppich.

Die Bilder von Ankommenden zeigen immer wieder Familien, große und kleine, mit vielen Kinden, mit wenigen Kindern; teilweise Eltern mit ihren Kleinkindern und gar Babys auf dem Arm. Menschen, die mit Hoffnung im Gesicht, Deutschland erreichen. Doch besonders die Kinder und Babys bleiben von den Bildern im Gedächtnis. In mir haben sie in den letzten Tagen immer wieder Fragen geschürt: was müsste mir, als gut gebildetem Mittelstandsbürger mit Festanstellung, Sportvereinsmitgliedschaft und Wochenendtrips zu Freunden und Verwandten hier, in einer deutschen Großstadt widerfahren, damit ich flüchte? Wann würde ich meinen Partner, meine Kinder, vielleicht mein ungeborenes Kind einer elenden Reise ins Ungewisse aussetzen? Wie könnte ich meine Verwandten und Freunde, mir lieb gewonnene Menschen hinter mich lassen und meine Heimat, meinen Lebensmittelpunkt verlassen? Antworten auf diese Fragen habe ich bislang nicht gefunden, denn ich kann es mir einfach nicht vorstellen. Doch gleichzeitig führen sie zu einer anderen, Besorgnis erregenden Frage: was muss in diesen Ländern, in Syrien, in Afghanistan, in Pakistan, in Eritrea und anderswo auf dieser Welt los sein, dass sich so unglaublich viele Menschen die oben genannten Fragen beantworten können? Und nicht nur das - sogar zur Tat schreiten und flüchten?

Holen wir also die Ursache unter dem Teppich hervor: in den oben genannten und weiteren Ländern herrschen lebensunwürdige Bedingungen, die Menschen dazu bringen, alles hinter sich zu lassen. Eine triviale Feststellung und doch ein Punkt, der in den Medien und Diskussionen zu kurz kommt. Hier muss die Diskussion beginnen! Hier müssen Fragen gestellt werden! Wie sehen die Bedingungen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge aus? Was muss sich dort ändern, damit Menschen sich nicht mehr gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen? Was kann Europa, was kann Deutschland, was können unsere Politiker und was können wir dafür tun?

Diese Fragen müssen gestellt werden, in den Medien, in der Politik, in der Gesellschaft. Unbequeme Antworten und Lösungen werden die Folge sein. Doch sie sind notwendig. Waffenexporte, ob direkt oder indirekt, an Diktatoren und Terroristen müssen aufhören. Der IS muss gestoppt werden. Die Entwicklungshilfe muss sich an den Begebenheiten und Einstellungen vor Ort orientieren (lest Esther Duflo und hört endlich auf sie). Subventionen für einheimische Produkte dürfen nicht länger die wirtschaftliche Entwicklung nicht beteiligter Nationen hemmen (fragt Joseph Stiglitz). Klima- und Umweltziele sind nicht länger zu diskutieren, sondern fest zu setzen und vor allem einzuhalten.

Lösungen für Flüchtlinge sind wichtig. Lösungen für Menschen, die noch ausharren (müssen) sind es ebenfalls!

1 Kommentar:

  1. Genau mit diesen Fragen beschäftige ich mich derzeit, mit dem Fokus auf einzelne Länder:
    http://thomas-a-blog.blogspot.de/

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